CASH OR CRASH
Unternehmerisches Denken und Handeln braucht Rückgrat

Dr. Marcus Geschwandtner ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Dr. Fandrich Rechtsanwälte Stuttgart / Bonn. Er begleitet Kreditinstitute unter anderem bei juristischen Fragestellungen in Veränderungsprozessen.
„Unternehmerisches Denken und Handeln braucht Rückgrat und rechtliche Absicherung“, betonte Dr. Marcus Geschwandtner beim Gedankenaustausch „Cash or Crash“ im Goldhaus München. Dazu hatten pro aurum und die Volksbank Löbau-Zittau eG Mitte April eingeladen. In seinem Vortrag erläuterte der Jurist das Dilemma für Kreditinstitute zwischen aufsichtsrechtlichen Vorgaben und der Notwendigkeit, zunehmende unternehmerische Fähigkeiten auszuspielen, um das Haus „auf Kurs zu halten“. Vom Risikomanagement bis zur Haftungsfrage – eine rechtliche Draufsicht auf drängende Transformationsfragen.
Herr Dr. Geschwandtner, wie dürfen wir Ihre Aussage „Unternehmerisches Denken und Handeln braucht Rückgrat“ verstehen?
Geschwandtner: Mehr denn je sind die Geschäftsleiter von Kreditinstituten normativ, sachlich und personell in ein enges Korsett geschnürt. Sie sind geradezu umzingelt von grundlegenden Vorgaben und Einschränkungen, von (verbund- und verbands-) politischen Interessen, von Prüfern und Aufsehern, Mitsprechern, die nicht immer Fürsprecher sind, etc. und laufen dabei Gefahr, sich in diesem dichten Gestrüpp zu verheddern und das Vertrauen der Gesellschafter und Gremien und damit ihr Amt zu verlieren. Das liegt trotz der hohen Amtsanforderungen nicht zuletzt an dem allseits vorherrschenden Formalismus und dem sehr hohen Verästelungs- und Detaillierungsgrad. Ein solches Umfeld ist unternehmerischem Handeln nicht gerade förderlich, kann lähmend wirken und vermittelt eine trügerische Sicherheit, ein Teufelskreis also. Wer diesen pflichtgerecht durchbricht und unternehmerisch denkt und handelt, braucht Rückgrat und Durchhaltevermögen. Er muss Entscheidungen mit aller branchenüblichen Sorgfalt selbstbestimmt treffen, deren Umsetzung rechtssicher gestalten und gegen mögliche Widerstände nach innen und außen überzeugend verteidigen. Im Einzelfall ist das sicherlich kein einfaches Unterfangen, aber für den Vorstand als das allein verantwortliche Leitungs- und Geschäftsführungsorgan alternativlos.
Sind Vorstände von Kreditinstituten denn nicht per se Unternehmer?
Geschwandtner: Ja, aber das Unternehmen „Bank“ und die Geschäftsstrategien haben in der Vergangenheit – auch in Abgrenzung zueinander – durchweg gut funktioniert. Das ist nun jedoch aus Gründen wie z. B. dem veränderten Kundenverhalten, dem Zutritt neuer Marktteilnehmer, der zügig voranschreitenden Digitalisierung, der anhaltenden Niedrigzinsphase und der noch rasanter zunehmenden Regulatorik nicht mehr so. Deshalb sind heute zusätzlich andere unternehmerische Fähigkeiten und Qualitäten als in der Vergangenheit gefragt. Außer der noch intensiveren Auseinandersetzung mit den Rahmenbedingungen und der Leistungsfähigkeit des eigenen Hauses bedarf es der besonderen individuellen Kompetenz, strategisch sinnhafte Projekte zu identifizieren, zu integrieren und vor allem auch rechtssicher umzusetzen. Hierzu gilt es, sich intensiv Gedanken darüber zu machen, woher man als Institut kommt und was die eigene DNA tatsächlich ausmacht, um sodann Herkömmliches in Frage zu stellen, dies mit der Zukunft zu verknüpfen und sich von gewohnten Vorstellungen lösen zu können, also in Fortentwicklung einer gewachsenen Strategie „quer zu denken“ und individuelle Lösungen zu finden. Damit tun sich verständlicherweise viele schwer. Aber das entschuldigt nicht. Ganz im Gegenteil. Die Geschäfts- und Risikostrategie, Prozesse und Verfahren zu entwickeln und rechtzeitig anzupassen und so die Bank jederzeit „auf Kurs zu halten“, ist eine der zentralen Aufgaben des eigenverantwortlich, d. h. frei von Weisungen Dritter, tätigen Vorstands.
Hierbei haben sich z. B. die Vorstände von Genossenschaftsbanken gesetzlich zwingend allein an den Bedürfnissen der Mitglieder zu orientieren (§ 1 Abs. 1 GenG), und zwar nach Maßgabe von § 34 Abs. 1 GenG haftungsbewehrt. Diese unumstößliche geschäftliche Ausrichtung und Förderzweckgebundenheit ist seit jeher das Einzigartige der genossenschaftlichen Rechtsform. Sie gibt dem Vorstand quasi das Geschäftsmodell übergeordnet vor, welches dieser dann vor Ort individuell mit Leben zu füllen hat.
Aufsichtsrechtliche Vorgaben und unternehmerisch notwendige Entscheidungen sind nicht einfach zusammen zu bringen. Befinden wir uns hier in einem Dilemma?
Geschwandtner: Das kann man so sagen. Bankenaufsichtsrecht wie etwa das Kreditwesengesetz, Verordnungen, Rundschreiben und Verlautbarungen ist hoheitliches Eingriffsrecht und beschränkt dauerhaft die unternehmerische Freiheit der Kreditinstitute. Solche Beschränkungen müssen jedoch für alle Akteure gleichermaßen wettbewerbsneutral wirken. Rechtsstaatlich müssen alle bankaufsichtsrechtlichen Regelungen und Maßnahmen für jeden Adressaten zu jeder Zeit und in jeder Hinsicht verhältnismäßig sein. Hieran hapert es. Die Gesetz-, Richtlinien- und Verordnungsgeber lassen unberücksichtigt, dass bankgeschäftliche Risiken nicht nur vom Inhalt der Tätigkeit, sondern maßgeblich auch von der gewählten Rechtsform, der daraus folgenden Wirtschaftsweise, Bankstruktur, -größe und -gruppe oder auch den Gesellschafterrechten, dem Geschäftsbezirk und damit der Beschaffenheit des Wirtschaftsraums sowie von selbstverantworteten oder gesetzlich auferlegten Eigensicherungssystemen abhängen. Es bedarf daher m. E. einer grundsätzlichen strukturellen Neuausrichtung und methodischen Überarbeitung des Bankenaufsichtsrechts unter Berücksichtigung aller Marktteilnehmer (Stufensystem).
Vor diesem Hintergrund sind die gegenwärtigen Diskussionen zum Proportionalitätsprinzip und um „regulatorische Erleichterungen für kleinere, weniger komplexe Banken“ längst überfällig – hierauf weise ich schon seit Jahren öffentlich hin. Sie werden aber im Ansatz falsch geführt. Es geht nicht um eine „Regulierung light“, eine Privilegierung oder gar eine finanzielle Entlastung, für die sich die „nicht systemrelevanten Institute“ rechtfertigen müssten. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Bankenaufsicht ist begründungspflichtig. Will der Gesetzgeber, wie mit dem KWG der Fall, Grundrechte beschränken, muss dies geboten sein, den jeweiligen Aufsichtszweck zu erreichen und bedarf einer besonderen Rechtfertigung im Einzelfall.
In diesem Sinne sollten die Institute und deren Geschäftsleiter die einzelnen Anordnungen und Anfragen der BaFin auf deren Rechtmäßigkeit sorgfältig überprüfen und etwaigen Rechtsverletzungen entgegentreten, gegebenenfalls auch durch Einlegung von Rechtsmitteln. Die BaFin agiert nicht im rechtsfreien Raum, sondern ist wie jede Behörde an „Recht und Gesetz“ gebunden.
Welche Spielräume gibt es innerhalb der MaRisk der BaFin?
Geschwandtner: Die MaRisk sind ein gutes Beispiel. Es stimmt, dass die BaFin dort einige Spielräume in Form von Öffnungs- und Proportionalitätsklauseln formuliert, aber darauf kommt es in erster Linie nicht an. Entscheidend ist, dass es sich bei den MaRisk lediglich um die Kundgabe der Rechtsauffassung der BaFin handelt, was sie generell unter einem „angemessenen und wirksamen Risikomanagement“ im Sinne von § 25a KWG versteht. Die MaRisk haben aber weder Rechtsnormcharakter noch einen Bezug zum einzelnen Kreditinstitut. Die MaRisk entfalten keine Bindungswirkung gegenüber Dritten, sondern binden allenfalls die BaFin bei ihrer Aufsichtstätigkeit selbst. Das betont auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof. Gegen sie kann daher nicht verstoßen werden. Umgekehrt müssen die Kreditinstitute „die MaRisk“ auch nicht beachten im Sinne von „umsetzen“. Für die Kreditinstitute und deren Geschäftsleiter geht es vielmehr darum, für den Einzelfall ein angemessenes Risikomanagement zu schaffen und dies je nach „Art, Umfang, Komplexität und Risikogehalt der Geschäftstätigkeit“ (§ 25a Abs. 1 Satz 4 KWG) auszugestalten sowie regelmäßig zu überprüfen. Dabei sind die MaRisk den Verantwortlichen freilich eine zu beachtende Orientierungs- und Auslegungshilfe, aber ihnen „blind zu folgen“, ist unternehmerisch nicht angezeigt.
Behauptete Verstöße gegen die MaRisk, die erster Maßstab für die hoheitliche Tätigkeit der BaFin sind, sollten mit Rücksicht auf die möglichen – für die Bankleiter auch persönlichen – Rechtsfolgen sorgsam überprüft und gegebenenfalls mit Nachdruck beanstandet werden. Präventiv bietet sich für Vorstände von Genossenschaftsbanken z. B. an, noch vor Anfertigung des endgültigen Prüfungsberichts im Rahmen von § 57 Abs. 4 GenG zweckentsprechend zu den Prüferfeststellungen substanziell Stellung zu nehmen.
Insbesondere der Kapitalplanungsprozess wurde von der BaFin in den letzten Jahren stärker akzentuiert, um auf Veränderungen der eigenen Geschäftstätigkeit und des wirtschaftlichen Umfelds besser vorbereitet zu sein. Wie lassen sich da neue Geschäftsfelder wie zum Beispiel Gold-Investments integrieren?
Geschwandtner: Jedes Kreditinstitut muss für sich die Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Tragfähigkeit des eigenen „Geschäftsmodells“ beurteilen und zur Kenntnis und Bewertung durch die BaFin darstellen. Aber aus meiner Sicht kann das Angebot von Gold-Investments bereits unter dem Gesichtspunkt der „Vermögenssicherung“ und dem Bestreben z. B. der Genossenschaftsbanken, ihren Mitgliedern nach Maßgabe von § 1 Abs. 1 GenG sog. „Exklusivleistungen“ anzubieten, eine durchaus strategiegerechte Ergänzung der bestehenden Produktpalette darstellen. Zudem stellt es eine zusätzliche Ertragsquelle und damit einen weiteren Mosaikstein für den Nachweis der Überlebensfähigkeit dar (vgl. § 6b Abs. 2 KWG).
Ohne ein tragfähiges „Geschäftsmodell“, also die Fähigkeit, akzeptable Gewinne zu erwirtschaften, steht die Finanzierungsfunktion in Frage und damit die Existenz des Kreditinstituts auf dem Spiel. Deshalb ist es für die Geschäftsleiter unerlässlich – ohne sich dabei strategisch zu verzetteln –, neue Geschäftsfelder mit Perspektive zu erkunden, zu besetzen und dadurch Ertragsquellen zu erschließen und diesen Prozess jeweils bereits im eigenen Interesse von Anfang an rechtssicher zu gestalten. Auch wenn die BaFin nun verstärkt die „Geschäftsmodelle“ der Kreditinstitute analysiert, um die Geschäfts- und strategischen Risiken zu bewerten, so soll die Behörde nach den Leitlinien der EBA auch darauf achten, hierbei nicht die Verantwortlichkeit des Leitungsorgans zu unterminieren und nicht bestimmte Modelle zu priorisieren – eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Deshalb gilt es für die Kreditinstitute und deren Geschäftsleiter, sich solchen möglichen Einmischungen in den Kernbereich der Geschäftsleitung entgegen zu stellen – sie allein ist und bleibt verantwortlich.
Das Risikomanagement muss gerade in jetziger Zeit auch den Schutz des Vermögens vor Wertverfall fokussieren. Wird dem Ihrer Einschätzung nach Genüge getan?
Geschwandtner: Das lässt sich nicht generell beantworten und bewerten. Aber ein angemessenes, d. h. auch risikoadäquates, Risikomanagement ist gewiss zentrale Voraussetzung für die Sicherung des Unternehmensvermögens und trägt so zur Sicherung des Vermögens der Gesellschafter und Kunden bei. War die auf die Verringerung der Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz abzielende Bankenaufsicht herkömmlich als eine Solvenzaufsicht ausgestaltet, so entwickelt sie sich bei unveränderter Zwecksetzung zunehmend für die einzelnen Kreditinstitute zu einer „Risiko-(system-)aufsicht“.
Für diese qualitative Ausrichtung stellt § 25a Abs. 1 KWG mit seiner hoheitlichen Forderung nach einer ordnungsmäßigen Geschäftsorganisation das Fundament dar, inzwischen ergänzt durch Vorschriften wie etwa die §§ 25b, 25c Abs. 3, 4 u. 4a KWG. Es braucht dieser branchenspezifischen Vorgaben, um seitens der BaFin Verstöße sanktionieren und Anordnungen treffen zu können. Aber materiell neu sind sie nicht. Den Geschäftsbetrieb ordnungsgemäß zu organisieren, gehört zu den allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Leitungs- und Geschäftsführungspflichten (s. §§ 76 Abs. 1, 91 Abs. 2 AktG; § 27 Abs. 1 Satz 1 GenG), betrifft also im Grundsatz branchenunabhängig alle Geschäftsleitungen.
Was passiert, wenn das nicht der Fall ist? Stichwort Haftungsprinzip?
Geschwandtner: Dann droht Ungemach; und zwar von allen Seiten. Ein Verstoß gegen § 25a Abs. 1 KWG (§ 25c Abs. 3, 4, 4a u. 4b KWG) bedeutet regelmäßig zugleich einen Verstoß gegen die in der Branche anerkannten Erkenntnisse und Erfahrungsgrundsätze und damit auch gesellschaftsrechtlich eine Sorgfaltspflichtverletzung.
Das zieht zum einen aufsichtsrechtlich hoheitliche Maßnahmen der BaFin sowohl gegenüber dem Kreditinstitut (Anordnung zur Mängelbeseitigung, Sonderprüfung etc.) als auch gegenüber den Geschäftsleitern (§§ 25c, 36 KWG) und gegebenenfalls den Aufsichtsratsmitgliedern (§§ 25d, 36 KWG) nach sich. Für die Geschäftsleiter ordnet § 25a Abs. 1 Satz 2 KWG Gesamtverantwortung an. Hierauf hat die ressortmäßige Aufteilung keinen Einfluss. Alle sind gleichermaßen verantwortlich dafür, dass eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation vorherrscht. Zudem besteht für die Einhaltung der Mindestanforderungen des § 25c Abs. 4a u. 4b KWG nach § 54a KWG auch eine strafrechtliche Verantwortung. Die Geschäftsleiter tragen dafür Sorge, dass das Kreditinstitut über bestimmte Strategien, Prozesse, Verfahren, Funktionen und Konzepte verfügt. Inzwischen beurteilt die BaFin dies im Rahmen der laufenden Aufsicht und kann die Institute Stresstests unterziehen (s. § 6b KWG).
Zum anderen wirkt sich ein Verstoß gegen derart grundlegende Leitungspflichten innerhalb der Bank auf das Vorstandsamt und den Dienstvertrag der betreffenden Vorstandsmitglieder aus. Ferner steht dann regelmäßig auch die Haftungsfrage im Raum (s. §§ 93 AktG, 34 GenG). Davon können, je nach Sachlage, auch pflichtvergessene Aufsichtsratsmitglieder betroffen sein. Bei Genossenschaftsbanken wird sich ebenfalls der BVR als Träger der Sicherungseinrichtung einschalten und satzungsgemäß Maßnahmen ergreifen.
Das zunächst als Überblick, in unserer Beratungspraxis stellen sich solche Verstöße und die möglichen Haftungsfälle natürlich vielschichtiger dar.
Welchen rechtsstrategischen Ansatz empfehlen Sie in Transformationsprozessen bezüglich neuer Geschäftsfelder?
Geschwandtner: Zunächst einmal, durchweg konsistent zu agieren, mit realistischen Annahmen zu operieren und strategisch plausibel zu planen. Über das Geschäftsmodell und das Leitbild, hin zur zukunftsgerichteten Geschäftsstrategie und Risikostrategie etc., bis hin zur Kommunikation, etc., alles ist idealtypisch aus einem Guss. So müssen auch zusätzliche Geschäftsfelder und Ertragsquellen sorgfältig identifiziert, analysiert und mit Hilfe eines NPP rechtssicher in das aktuelle Geschäftsmodell integriert werden.
In der Praxis ist dies ein aufwendiger, in jeder Hinsicht sorgfältig zu behandelnder Prozess mit zahlreichen Schnittstellen, etwa bis hin zur Vorbereitung von Beschlussvorlagen oder Fragen der Satzung und Geschäftsordnungen.
Vielen Dank!
Auf Twitter folgen: @proaurum folgen |
pro aurum TV abonnieren: |