Silberjunge: „Machen wir es jetzt wie Warren Buffet 1997!“
Thorsten Schulte gilt in der Finanzwelt als angesehener Silber-Experte. Aus seiner Vorliebe für das mit Abstand günstigste Edelmetall macht der ehemalige Investmentbanker seit Jahren keinen Hehl. pro aurum sprach mit ihm über die jüngsten Turbulenzen bei Silber und die weiteren Perspektiven des Edelmetalls.
Herr Schulte, in der Finanzbranche sind Sie auch als "Silberjunge" bekannt. Sie haben 2010 mit dem Buch "Silber - das bessere Gold" ihre Präferenzen im Edelmetallsektor klargestellt. Hat sich an dieser Einschätzung nach der diesjährigen Baisse irgendetwas verändert?
Mein Langfristoptimismus ist größer denn je! Seit langem warne ich zwar vor kurzfristiger Euphorie und sehe die nächste große Hausse des Silbers erst zwischen Ende 2013 bis Ende 2015, aber der derzeitige Ausverkauf beim Silber ist völlig übertrieben. Der Marktpessimismus ist gegenwärtig nach allen Stimmungs- und Marktindikatoren historisch auf einem ausgesprochen hohen Niveau. Machen wir es wie Warren Buffet: Sei gierig, wenn andere ängstlich sind, und ängstlich, wenn andere gierig sind. Für mich ist es ohnehin wichtig, dass die Menschen die Unterbewertung von Silber gegenüber Gold erkennen und vor allem Silber als die beste Versicherung gegen das Platzen der Papiergeldblase ansehen. Die noch siebenprozentige Umsatzsteuer auf Silbermünzen lässt viele Investoren Gold vorziehen, aber dies halte ich für grundfalsch.
Beim Silber wird insbesondere an den Terminmärkten der Preis maßgeblich beeinflusst - man könnte auch sagen manipuliert. Wie bewerten Sie den dort zu beobachtenden massiv eingebrochenen Optimismus unter den spekulativen Marktakteuren?
Sie sprechen einen ganz entscheidenden Punkt an. Es gibt einmal die Spekulanten und ihre Gegenspieler, die so genannten Commercials. Wenn die Spekulanten auf steigendes Silber setzen, dann halten die Commercials mit Netto-Leerverkäufen von Silber dagegen. Diese Verkaufspositionen sind per 25. Juni 2013 mit minus 4.093 Kontrakten sogar niedriger als im bisherigen historischen Tief am 29. Juli 1997. Damals war es eine tolle Kaufchance. Nach einem Rekordtief des Silberpreises von 4,18 Dollar je Feinunze stieg es am 5. Februar 1998 auf 7,93 Dollar. Wissen Sie, was damals der Katalysator war? Es war der von mir bereits erwähnte Warren Buffett, der damals den rekordhohen Marktpessimismus anscheinend genutzt hat. Er begann nach Medienberichten wie in „Der Spiegel“ im Juli 1997 mit Silberkäufen. Wo auch immer jetzt das Tief ist, für mich geht es darum, sich während dieses starken Rückgangs zu positionieren für die nächste große Hausse. Weil viele derzeit das Gerede von einer neuen Edelmetallhausse als reines Wunschdenken von Leuten abtun, die wie ich bereits vor vielen Jahren Gold und Silber erworben haben, lässt mich unbeirrt weiterkaufen. 1980 bei der großen Blase machte der Wert allen bis dahin geförderten Silbers zum Preishoch von über 50 Dollar 15 Prozent des damaligen Weltfinanzvermögens aus. Heute sind es nur rund 0,5 Prozent. Hinzu kommt, dass die Grenzkosten vieler primärer Silberproduzenten über 20 US-Dollar liegen. Im April dieses Jahres lagen die weltweiten Produktionsziffern nach dem World Bureau of Metal Statistics mit 66 Millionen Silberunzen fast 4 Prozent unter dem Rekord vom Mai 2012. Der derzeitige Silberpreis setzt keinen Anreiz, die Förderung zu steigern. Haben wir jetzt einen langen Atem. Hat Kolumbus bei Sturm die Segel gestrichen und die Atlantiküberbequerung abgeblasen? Wir sollten wie ein Supertanker in aufgewühlter See Kurs halten.
Denken Sie, dass es Manipulationen beim Silber gibt oder gehört dies ins Reich der Verschwörungstheorie?
Die vier größten Akteure am US-Terminmarkt für Silber haben derzeit noch immer netto 196 Millionen Feinunzen leerverkauft. Einen derart hohen Wert, wir reden über 25 Prozent der Minenproduktion eines Jahres, sehen wir bei keinem Rohstoff. Führen Sie sich vor Augen, dass der Marktwert der Gesamtnachfrage des letzten Jahres bei Silber derzeit rund 20 Milliarden, bei Kupfer weniger als 150 Milliarden und bei Gold noch nicht einmal 180 Milliarden Dollar beträgt. Die Fed und US-Großbanken können diese Märkte beeinflussen und sie tun es sicherlich auch. JP Morgan hält allein beispielsweise über 75 Prozent aller außerbörslich gehandelten Derivate – abgeleitete Finanzinstrumente – auf Gold. Gold und Silber sind die Feinde des Papiergeldes und damit einer jeden Zentralbank in unserem Papiergeldreich. Der Rohölmarkt kann wesentlich schwerer manipuliert werden, weil die Nachfrage eines Jahres derzeit einen Wert von über 3.300 Milliarden Dollar hat. Ich fordere derzeit bei jedem Vortrag dazu auf, die Augen zum Sehen zu benutzen und den gesunden Menschenverstand sprechen zu lassen. Seit dem 11. April, also vor dem scharfen Einbruch der Edelmetalle, hat Rohöl bis heute 8 Prozent zugelegt, der US-Aktienindex S&P500 liegt noch mit einem Prozent im Plus, nur die kleinen beherrschbaren Gold- und Silbermärkte liegen mit 20 bzw. 30 Prozent seitdem im Minus. Machen Sie sich selbst einen Reim darauf! Wie kommt es beispielsweise, dass am 20. Mai 2013 kurz nach Mitternacht plötzlich starke Verkaufsorders den Markt erreichten und Silber damals von rund 22,6 US-Dollar auf 20,25 US-Dollar drückten und dann der Markt am Abend sogar Kurse von über 23 US-Dollar sah? Würden Sie am Wochenende die Erkenntnis gewinnen, dass Sie Ihre Silberinvestments reduzieren wollen, würden Sie doch wohl kaum zu einer Handelszeit hohe Verkaufsaufträge erteilen, wo der Markt nicht liquide ist. Es sei denn, Sie wollen mit Ihren Verkäufen größtmögliche Kursrutsche auslösen. Für mich ist dies gerade eine der größten Manipulationen der letzten Jahrzehnte. Warum ist das so wichtig für uns? Manipulationen haben kurze Beine. Wenn Sie beispielsweise am Wohnungsmarkt die Mieten durch Gesetze unter ihren normalen Gleichgewichtspreis drücken, wird weniger gebaut und die Nachfrage steigt. Die natürliche Folge ist Mangelwirtschaft, was Sie in den sozialistischen Ländern doch zu Genüge beobachten konnten. Natürlich können Sie über den Terminmarkt für Silber Angst und Panik unter den Investoren auslösen. Die schwachen Hände fliehen dann aus dem Markt. Aber wenn der Pulverdampf sich verzogen hat, werden die starken Hände kaufen und von der Angebotsseite Verknappungen kommen, was dann die Grundlage bietet für den nächsten Aufschwung. Die nächste Sternstunde für Silber kommt. Wir müssen nur Geduld haben!
Als mit großem Abstand günstiges Edelmetall ist Silber in diversen industriellen Anwendungen dank seiner speziellen Eigenschaften stark gefragt. In welchem Sektor bzw. Anwendungsbereich rechnen Sie auf lange Sicht mit einem nachhaltigen Nachfrageboom?
Damit keine Missverständnisse aufkommen, sage ich deutlich, dass die nächste große Aufwärtsbewegung zwischen Ende 2013 und Ende 2015 nicht von gewaltigen neuen Nachfrageschüben der Industrie ausgelöst wird. Vielmehr wird das riesige Papiergeldmeer den Menschen in den kommenden Jahren bewusst machen, dass das staatliche Zwangsgeld seine Vermögensschutzfunktion verliert. Lassen wir Fakten sprechen: Die Geldmenge in den OECD-Staaten, den 34 alten Industrieländern sowie den großen Schwellenländern Brasilien, Russland, Indien, Indonesien, China und Südafrika, lag 1990 bei rund 13.300 Milliarden Dollar, erreichte 2000 über 21.300 Milliarden und legte bis Ende 2012 auf über 66.000 Milliarden Dollar zu. Vergleichen wir das doch einmal mit den Silberinvestments des Jahres 2012, die bei aktuellen Silberpreisen gerade mal einen Marktwert von 6 Milliarden Dollar hat. Für Gold kommen wir hier aktuell auf etwas über 60 Milliarden Dollar. Alleine die US-Notenbank kauft monatlich für 85 Milliarden Dollar Wertpapiere und die Japaner kommen auf über 60 Milliarden. Silber und Gold sind begrenzt und vom Papiergeld wird immer mehr geschöpft. Dies vorausgeschickt, nun zurück zu Ihrer Frage. Silber hat ja nun wahrlich ganz mannigfache Anwendungsgebiete. Natürlich gibt es an der einen oder anderen Stelle Einsparungen. Ein neues iPhone benötigt deutlich weniger Silber als ein normales Mobilfunktelefon vor Jahren. Dennoch erwartet das Silver Institute in einer umfassenden Studie von Ende 2012 einen Anstieg der Silbernachfrage der Industrie von 465,9 Millionen Unzen 2012 auf 484 in 2013 und auf 511,6 Millionen Unzen 2014. Lassen Sie mich nur ein interessantes Beispiel für mögliche zukünftige Einsatzgebiete nennen: Indiumzinnoxid ist aktuell as wichtige elektrisch leitfähige Material in Touchscreens, Bildschirmen, Displays, Flüssigkristallbildschirmen etc.! Die Indium-Ressourcen dürften in den kommenden 10 bis 20 Jahren zuneige gehen und Nanosilberdrähte könnten sich hier als Alternative anbieten. Wie auch immer, Silber wird in der Elektronik gebraucht, ist in den zukunftsträchtigen RFID-Chips enthalten, wird in der Solarenergie, der Medizin und der Wasseraufbereitung eingesetzt und Silberbeschichtungen bei Glasscheiben sind hervorragende Reflektoren. Silber wird verbraucht, während Gold gehortet wird! Einige schüren ja immer wieder Angst vor einem Goldverbot. Bei Silber ist dies angesichts der großen Bedeutung in der Realwirtschaft kaum umsetzbar. Auch deshalb schlägt mein Herz für Silber.
Losgelöst von der mengenmäßigen Nachfrage, welche Eigenschaft von Silber fasziniert Sie am meisten?
Mich fasziniert am meisten die unglaubliche Chance des Silberinvestments, die sich aus seinem Schattendasein gegenüber Gold ergibt. Natürlich isst das Auge auch bei mir mit und eine 1-kg-Silbermünze mit dem australischen Vogel Kookaburra ist wunderschön anzusehen. Aber auch wenn Sie es jetzt vielleicht wundert, der Silberjunge warnt davor, eine zu große emotionale Bindung zu einem Investment aufzubauen. Ich sage immer gern, man soll gehen, wenn es am Schönsten ist. Dies gilt auch für Silber. Wer sich in das weiße Metall heute verliebt, wird es kaum in einigen Jahren zur richtigen Zeit verkaufen, weil er dann von Gier und seiner unzertrennlichen Beziehung zu seinem Silber davon abgehalten wird. Für die kommenden Jahre gilt aber für mich, dass Silber ein unverzichtbarer Bestandteil einer jeden Vermögensschutzstrategie ist. Silber ist derzeit ungeheuer unterbewertet gegenüber Gold, aber noch viel mehr gegenüber dem Papiergeld. Das Gewohnte – Bankeinlagen, Staatsanleihen, Bankschuldverschreibungen, Unternehmensanleihen – sind nicht mehr richtig, aber das Richtige – Gold und Silber – ist noch nicht gewohnt.
Die meisten professionellen Vermögensverwalter empfehlen Ihren Mandanten einen Teil des Vermögens in Gold und Silber zu investieren. Welchen Anteil sollten - Ihrer Meinung nach - die beiden Edelmetalle am Gesamtvermögen eines Anlegers ausmachen und wie würden Sie dabei Gold und Silber konkret aufteilen.
So pauschal lässt sich das nicht sagen. Ein 30- oder 40-jähriger, der einen sicheren Job hat und über eine fundierte Ausbildung verfügt, kann meistens Erachtens durchaus 50 Prozent und mehr in Edelmetallen investieren. Denn Gold und Silber bieten wirklichen Inflationsschutz, was ich von der Performance des US-Aktienindex S&P500 während der Inflationsschübe in den 60-er und 70-er Jahren beispielsweise nicht behaupten kann. Noch dazu sind Gold und Silber nach historischen Maßstäben gegenüber den Aktienmärkten deutlich unterbewertet. Wenn Silber nur das Bewertungsniveau des Jahres 1974 zum S&P500 nach dem 1. Ölpreisschock erreichen wollte, könnte es aktuell auf 114 US-Dollar je Feinunze steigen. Legen wir die Relationen zum DAX-Kursindex zugrunde, kommen wir gegenwärtig auf über 93 Euro. Wenn wir bei Silber die Werte von 1980 erreichen wollten, kämen wir auf ein Vielfaches. Bezogen auf die Bewertungsrelation zum S&P500 im Januar 1980 könnte Silber auf über 700 Dollar zulegen. Für mich ist es höchst seriös, die Niveaus von 1974 als Ziel auszugeben. Jemand, der kurz vor seiner Rente steht oder bereits seinen Lebensabend genießt, sollte niedrige Vermögensteile in Gold und Silber halten. Aber dies hängt von seiner Einkommens- und Ausgabenplanung im Alter ab. Wer sein Vermögen eh vererben will, kann es natürlich auch mir als vierzigjährigem gleichtun. Das beste Edelmetall ist doch eh das, welches man vererben kann. Ich selbst halte im Übrigen 70 Prozent in Silber und 30 Prozent in Gold.
Unter steuerlichen Aspekten muss man beim physischen Silberkauf aufgrund der anfallenden Mehrwertsteuer gewisse Nachteile gegenüber Gold attestieren. Was würden Sie potenziellen Silberinvestoren diesbezüglich raten?
Am 1. Januar 2014 fällt der ermäßigte Umsatzsteuersatz von 7 Prozent für Silbermünzen und Münzbarren. Dann gelten einheitlich 19 Prozent. Die Anleger sollten den Preisrutsch und die Aussicht auf die steigende Umsatzsteuer daher meines Erachtens beherzt nutzen. Ab 2014 werden nach meiner Einschätzung auch Zollfreilager, insbesondere in der Schweiz, mehr Zuspruch erhalten. Hier erfolgt der Erwerb umsatzsteuerfrei, sofern man sich das Silber nicht aus dem Zollfreilager ausliefern lässt. Noch dazu gibt es Zollfreilager mit höchster Sicherheitsstufe, die bestens versichert sind. Und Schweizer Zollfreilager wären vor Enteignungen der EU-Behörden sicher, was gerade bei Goldinvestments meines Erachtens eine wichtige Rolle spielt.