Über eine Hochfrequenzattacke auf Gold
Am 7. Juni 2012 fiel der Goldpreis gesteuert von einem Computeralgorithmus im späten Handel binnen weniger als einer Sekunde um 22 USD.
Gastbeitrag von Dimitri Speck
Kursstürze bei Gold häufig
Scharfe Kursstürze bei Gold um beispielsweise 10 bis 20 USD binnen weniger Minuten sind häufig zu beobachten, oft mehrmals die Woche. Auch der Rückgang vom 7. Juni 2012 sieht auf den ersten Blick danach aus, wenn auch einigen Beobachtern die besonders hohe Geschwindigkeit – in Markberichten war von 43 Sekunden bis „weniger als fünf Minuten“ die Rede – auffiel. Gemäß vorliegenden Kursdaten mit Minutengenauigkeit kam es am Spotmarkt in weniger als zwei Minuten zu einem Rückgang um 20 USD. Abb. 1 zeigt die Kursentwicklung vom 7. Juni 2012 am Spotmarkt im Intradaychart. Der maßgebliche Kursrückgang ist in rot markiert.
Abb. 1: Gold (intraday) am 7. Juni 2012
BU: Häufig fällt Gold ohne Anlass binnen weniger Minuten stark. So auch am 7. Juni, als es im späten Handel zu einem besonders schnellen Rückgang kam.
Hochfrequenzattacke
Doch was sich in den späten Abendstunden des 7. Juni am Terminmarkt ereignete, ist von ganz anderer Qualität. Die COMEX als Teil der CME Gruppe ist die bedeutendste Terminbörse für den Goldmarkt. Sie zeichnet jeden einzelnen Handel mit Uhrzeit, Volumen und gegebenenfalls Kurszusätzen auf. Diese Aufzeichnungen werden Times & Sales Report genannt und sind von der CME erhältlich. Sie offenbaren für den 7. Juni 2012 für den Zeitraum von einer Sekunde, nämlich um 21 Uhr 21 und 20 Sekunden Chicagoer Zeit CDT, eine komplexe Kursattacke im Hochfrequenzbereich, wie sie nur von eigens dafür programmierten Computern ausgeführt werden kann. In dieser einen Sekunde kam es zu 501 Kursfeststellungen, davon 490 mit Umsatz, während es in den übrigen 3599 Sekunden dieser Handelsstunde im Mittel nur 1,87 Trades pro Sekunde gab. Die Anzahl der Trades erhöhte sich somit in dieser Sekunde schlagartig um das 260-fache! Abb. 2 zeigt einen Ausschnitt des Times & Sales Reports mit dem Beginn der maßgeblichen Sekunde für den umsatzstärksten August-Kontrakt.
Uhrzeit Kurs Umsatz
Abb. 2: Times & Sales Report der Sekunden 16 bis 20
BU: Von der Terminbörse sind Listen mit allen Trades erhältlich. In den Sekunden 16-19 kommt es zu je einer Kursfeststellung. Dann kommt die Sekunde 20 mit 501 Kursen, wobei der erste gleich nach unten weist.
Quelle: CME
Recherche in den Börsenaufzeichnungen
Die linke Spalte zeigt die Zeit mit einer Auflösung von einer Sekunde. Daneben stehen der Kurs, der Umsatz und gegebenenfalls ein Zusatz (wie cancel für storniert). Wir können deutlich sehen, dass in den Sekunden zuvor die Handelsaktivität mit einem Trade pro Sekunde noch gering war. Das ist für die späte Zeit des Abends auch normal. Dann setzte die Hochfrequenzattacke ein. Dabei sehen wir im Ausschnitt nur die ersten sieben von insgesamt 490 Trades der Sekunde 21:21:20. Schneller als mit einem Maschinengewehr wird hier im Millisekundenbereich oder schneller ein Umsatz nach dem anderen getätigt. Der Ausschnitt zeigt dabei, dass bereits der erste Kurs um 3,7 USD niedriger lag. Zudem verdeutlicht er, dass hier nicht etwa eine große Order versehentlich platziert wurde, sondern dass hier viele kleine Trades getätigt wurden. Dabei kam es noch zu weiteren Merkwürdigkeiten. Abb. 3 zeigt einen weiteren Ausschnitt aus dem Times & Sales Report der betreffenden Sekunde.
Uhrzeit Kurs Umsatz
Abb.3: Abb. 2: Times & Sales Report der Sekunde 20
BU: Während der Sekunde 20 (hier ist nur ein kleiner Ausschnitt gezeigt) kam es im Millisekundenbereich immer wieder zu scharfen Rückgängen, hier um 8,3 USD von 1578,1 USD auf 1569,8 USD.
Quelle: CME
Blitzstürze in Millisekunden…
Der Ausschnitt beginnt mit zwei Umsätzen zu 1578 USD und einem leichten Anstieg auf 1578,1 USD. Dann aber fällt der Kurs schlagartig um 8,3 USD! Blitzschnell wird zu diesem deutlich tieferen Kurs von 1569,8 USD ein Trade nach dem anderen ausgeführt mit einem Volumen von jeweils nur einem Kontrakt. Wir sehen hier binnen Millisekunden deutlich tiefere Kurse im umsatzstärksten Kontrakt. Eigentlich würde man erwarten, dass es hier aufgrund limitierter Kauforders im Markt zu vielen Trades dazwischen kommen würde. In den 83 Schritten nach unten zu je 0,1-Dollar gab es keine Ausführung, dann aber gleich 8 für genau einen Kontrakt bei 1569,8. Es wirkt, als wären die Trades unter die Kauflimite anderer Marktteilnehmer hindurchgeschossen worden.
…und anschließende Erholungen
Dabei handelt es sich bei diesem Tiefschuss keineswegs um einen Einzelfall. Schlagartige Kursrückgänge von mindestens 7 USD ohne einen Kurs dazwischen gab es in der betreffenden Sekunde fünfmal. Hinzu kommen weitere Rückschläge von geringerem Ausmaß. Dabei erholten sich die Kurse dazwischen immer wieder fast vollständig! Es gibt somit anscheinend Kauforders. Dieses schnelle Auf und Ab wirkt, als wären die übrigen Marktteilnehmer aus einem Millisekundenschlaf erwacht, hätten dann ihre Orders platziert, nur um gleich wieder in ihr Millisekundennickerchen zu verfallen. Tatsächlich war ein Hochfrequenz-Computerprogramm tätig, das eine Vielzahl einzelner Trades generierte, um den Kurs zu manipulieren.
Die Sekunde der Attacke im Detail
Wir wollen uns nun die Sekunde 21:21:20 genau ansehen (Abb. 4). Die nachstehende Abbildung zeigt alle Kurse der betreffenden Sekunde, ein Intrasekundenchart gewissermaßen. Auf der vertikalen ist wie üblich der Preis in USD je Unze angegeben, auf der horizontalen sind die Trades dieser Sekunde durchnummeriert. Hinzu kommen jeweils die Kurse davor und danach, sowie sogenannte indikative Kurse (in rot).
Abb. 4: Die Sekunde 21:21:20
BU: Die fast 500 Trades der Sekunde. Deutlich sieht man immer wieder scharfe Rückgänge, denen anschließend Erholungen folgen. Die Trades benötigten nur Sekundenbruchteile.
Datenquelle: CME
Hochfrequentes Auf & Ab
Wir können deutlich das Auf und Ab der Kurse sehen – allein dies schließt einen Misstrade genauso aus wie etwa eine Verursachung durch den Spotmarkt oder ein Aufschaukeln mehrerer Hochfrequenzprogramme wie beim Flash-Crash im Aktienmarkt am 6. Mai 2010. Hinzu kommt die mehrhundertfach erhöhte Anzahl an Trades und Volumen, die solche Ursachen ausscheiden lassen. Der Spotmarkt kommt als Ursache zudem nicht in Frage, da er zeitlich dem Kursblitz nachlief. Es handelte sich um ein Phänomen des Terminmarktes. Grundsätzlich kann nicht ein Mensch, sondern einzig ein hochfrequentes Computerprogramm so schnell agieren. Mangels Alternative muss sein Zweck die Kursmanipulation gewesen sein. Dieser wurde auch erreicht, der Preis stand danach für Stunden gut 20 USD tiefer – Zeit genug, die Kosten der Operation wieder hereinzuholen.
Das Handelssystem der Börse
An dieser Stelle muss auf das Handelssystem der CME eingegangen werden. Aufgrund der auffälligen Kursbewegungen wurde der Handel von der CME am 7. Juni 2012 noch während der Sekunde 21:21:20 für 40 Sekunden von einem Programm namens Stop Spike Logic ausgesetzt. Das bedeutet auch, dass die 500 Kursbewegungen in weniger als einer Sekunde stattfanden! Allerdings konnten bis Redaktionsschluss nicht alle Details des Handelssystems geklärt werden. So sollte es indikative Kurse – Schätzkurse, wo sich Angebot und Nachfrage in etwa treffen würden –, nur geben, wenn kein Handel stattfindet. Der Times & Sales Report weist aber bereits zuvor, also noch während des Handels, indikative Kurse aus (siehe Abb. 4). Diese lagen wiederholt bei 1556, also etwa 22 USD tiefer als in der Sekunde zuvor und zugleich auf dem Niveau, bei dem dann der Handel tatsächlich wieder einsetzen sollte. Der Vollständigkeit halber sei noch bemerkt, dass es zu dieser Zeit keine Neuigkeiten für den Goldmarkt gab und dass andere Märkte wie Währungen, Renten oder Aktien keine markanten Bewegungen aufwiesen (außer Silber).
Fazit
Hochfrequenzprogramme, die mittlerweile einen erheblichen Anteil am Handelsgeschehen ausmachen, sind in letzter Zeit zu Recht in Verruf geraten. Zwar können sie in Einzelfällen nützlich sein, etwa wenn sie große Orders marktschonend platzieren sollen. Fragwürdig sind aber ungleiche Marktzugänge oder hoher technische Aufwand, wenn er letztlich nur betrieben wird, um langsameren Marktteilnehmern Geld aus der Tasche zu ziehen. Die Grenze des Illegalen ist spätestens dann berührt, wenn Hochfrequenzprogramme dazu dienen, Frontrunning zu betreiben oder Kurse zu manipulieren. Eine solche Kursmanipulation fand am 7. Juni 2012 um 21:21:20 Uhr in Form einer Hochfrequenzattacke auf Gold statt. Es genügte eine Sekunde, um den Preis von Gold für Stunden um über ein Prozent herunter zu manipulieren. Obwohl Zentralbanken in der Vergangenheit wiederholt im Goldmarkt intervenierten, kommen sie hier als Urheber nicht in Frage. Technischer Aufwand und das nötige Ausmaß an Erfahrung und Spezialisierung sind im Hochfrequenzbereich vermutlich zu hoch. Deshalb muss ein privates Finanzinstitut die hochfrequente Kursmanipulation zur Erzielung eines Handelsgewinns durchgeführt haben. Es handelt sich um einen konkreten Vorgang im dünnen Handel, der zeitlich eng begrenzt und zudem auf einen Markt beschränkt ist. Dies sind beste Voraussetzungen für eine erfolgreiche Aufklärung durch die Aufsichtsbehörden.
Vita
Dimitri Speck ist quantitativer Handelssystementwickler bei Staedel Hanseatic, Herausgeber von www.seasonalcharts.de und Autor des Buchs „Geheime Goldpolitik“.