Der "Mindestlohn-Betrug"
Dr. Michael Grandt
Mindestlohnforderungen sind gegenwärtig politisch korrekt. Auch jene, die das bisher abgelehnt haben, votieren plötzlich dafür. Was in Europa funktioniert, soll auch bei uns funktionieren. Aber so einfach ist das nicht, denn in anderen EU-Ländern ist der Mindestlohn oft niedriger als unsere Hartz-IV-Sätze. Eine Kontroverse.
Die alte rot-grüne Forderung nach einem flächendeckenden Mindestlohn hat sich seit geraumer Weile auch die CDU/CSU zu eigen gemacht. Den fundamentalen Kurswechsel lässt sich meiner Ansicht nach nur mit den nächsten Bundestags- und wichtigen Landtagswahlen erklären.
Damit wollen Merkel & Co. offensichtlich bei einem Wählerpotenzial punkten, das bisher weitgehend unerschlossen blieb: rot-grüne, linke und gewerkschaftsnahe Wähler.
Ein beliebtes Argument, Ihnen den Mindestlohn schmackhaft zu machen ist, dass in 20 Ländern der EU bereits gesetzliche Mindestlöhne gelten würden, weshalb ein solcher auch in Deutschland eingeführt werden sollte. Zudem hätten diese "Länder gute Erfahrungen" damit gemacht.
Was ist dran an diesem Wahlkampfgetöse? Entspricht es der Wahrheit, oder verschweigen Ihnen die Politiker wichtige Parameter?
Die Fakten:
1. In vielen Ländern ist der Mindestlohn niedriger als unsere Hartz-IV-Sätze!
Es ist zwar richtig, dass in 20 der 27 EU-Mitgliedstaaten gesetzliche Mindestlöhne gelten, aber unsere Politiker verschwiegen, dass viele dieser Mindestlöhne in anderen Ländern bei Weitem niedriger sind als unsere Hartz-IV-Sätze, wenn man diese auf einen Stundenlohn umrechnen würde! Sie glauben das nicht? Dann sehen Sie folgendes Beispiel:
2. Vergleich der gesetzlichen Mindeststundenlöhne in den einzelnen EU-Staaten:
Luxemburg: | 9,73 € |
Frankreich: | 8,82 € |
Irland: | 8,65 € |
Niederlande: | 8,58 € |
Belgien: | 8,41 € |
Großbritannien: | 6,41 € |
Österreich: | 5,99 € |
Griechenland.: | 4,28 € |
Malta: | 3,67 € |
Slowenien: | 3,45 € |
Portugal: | 2,71 € |
Tschechien: | 1,77 € |
Estland: | 1,73 € |
Slowakei: | 1,70€ |
Polen: | 1,65 € |
Lettland: | 1,47 € |
Ungarn: | 1,43 € |
Litauen: | 1,40 € |
Rumänien: | 0,83 € |
Bulgarien: | 0,71 € |
3. Durchschnittlicher Mindestlohn in den EU-Ländern:
Im Durchschnitt liegt der Mindestlohn in den EU-Ländern, die ihn eingeführt haben, also bei 4,17 EUR. Richtig müsste das Argument also heißen: "20 EU-Staaten haben einen gesetzlichen Mindestlohn eingeführt, der im Durchschnitt weit unter unseren Hartz-IV-Sätzen für Alleinstehende liegt."
Die Forderung nach einem Mindestlohn entpuppt sich als Augenwischerei und Wahlkampfgetöse!
Demnach quotieren nur fünf der 20 EU-Länder, die einen gesetzlichen Mindestlohn eingeführt haben, über unseren Hartz-IV-Sätzen, zudem liegen die Mindestlöhne bei 30 bis 60 Prozent der nationalen Durchschnittslöhne. Wenn man diese Tatsachen objektiv betrachtet, relativiert sich die Forderung "Mindestlohn über alles" und entpuppt sich nur als Augenwischerei.
4. Was bringt ein gesetzlicher Mindestlohn?
Literaturübersichten der OECD und empirische Studien in Bezug auf Beschäftigungswirkungen von Mindestlöhnen zeigen, dass neben negativen Beschäftigungswirkungen, vor allem bei Jugendlichen, auch die Armutsquote durch Mindestlöhne nur in begrenztem Maße verringert werden kann, da viele arme Haushalte kein Einkommen aus Erwerbsarbeit beziehen und Beschäftigte mit Mindestlöhnen oft in Haushalten mit einem Höherverdienenden leben.
Mindestlöhne zeigen negative Beschäftigungswirkungen
In Frankreich zeigte der Mindestlohn teilweise starke negative Beschäftigungseffekte, vor allem bei Jugendlichen und Frauen. In diesem Land, das laut des Sachverständigenrates (SVR) "hinsichtlich seines institutionellen Regelwerkes auf dem Arbeitsmarkt am ehesten mit Deutschland vergleichbar ist", seien die Beschäftigungsverluste aufgrund der Anhebung des französischen Mindestlohns allerdings beachtlich. "So ermitteln Laroque und Salanié (2002) einen signifikanten Einfluss des Mindestlohns auf die Höhe der Arbeitslosigkeit."
In Ländern mit hohem Mindestlohn ist die Arbeitslosigkeit höher als in Deutschland, so z. B. in Frankreich und in Irland
Der Sachverständigenrat widmete sich in seinem Gutachten für das Jahr 2006 bereits dem Thema Mindestlohn und untersuchte die einzelnen Argumente für und gegen seine Einführung.
Das Gutachten kommt zu dem Schluss: "Als Fazit ergibt sich, dass keines der Argumente für die Einführung eines Mindestlohns wirklich zu überzeugen vermag." Und weiter: "Anders als in der Diskussion teils suggeriert, dürfte ein gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland durchaus negative Beschäftigungseffekte nach sich ziehen (…) In Verbindung mit den internationalen Erfahrungen ist daher im Hinblick auf die zu erwartenden Beschäftigungseffekte ausdrücklich vor der Einführung eines Mindestlohns in Deutschland zu warnen. Dies gilt umso mehr angesichts der gegenwärtig diskutierten Höhe eines gesetzlichen Mindestlohns von 7,50 Euro und mehr."
In Deutschland ist vor der Einführung eines Mindestlohns zu warnen!
Doch die Partei DIE LINKE fordert sogar einen gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro!
Fazit: Sind Sie bereit, mehr zu bezahlen, wenn ein Mindestlohn gilt?
Löhne lassen sich also nicht durch gut gemeinte politische Beschlüsse beliebig hochsetzen, ohne dass die Beschäftigung darunter leidet. Oft sind Verlagerungen von Jobs ins Ausland die Folge oder Arbeitskräfte werden durch Maschinen ersetzt.
Eine einfache Frage, die sich jeder selbst stellen kann, ist die: Sind Sie bereit, mehr für Produkte und Dienstleistungen zu bezahlen, wenn ein gesetzlicher Mindestlohn gilt?
Wenn ja, dann kann er morgen sofort eingeführt werden. Wenn nein, werden viele kleinere Unternehmen Konkurs anmelden müssen, weil sie die höheren Personalkosten nicht bezahlen können – und dann haben wir genau das, was alle Politiker eigentlich nicht wollen: mehr Arbeitslose.
Dr. h.c. Michael Grandt, Jahrgang 1963, arbeitet seit 1992 als Publizist, Dozent und Fachberater für die Themenbereiche Wirtschaft, Finanzen und Zeitgeschichte. Er hat an zahlreichen Fernsehreportagen u.a. für BBC, Channel 4, ORF, RTL, SAT 1 und PRO 7 mitgearbeitet und ist in vielen TV-Talkshows als Experte aufgetreten.
Michael Grandt hat über 800 Contents verfasst und bisher 22 Bücher publiziert. Seine Werke „Der Crash der Lebensversicherungen“; „Der Staatbankrott kommt!“, „Europa vor dem Crash“ (mit Udo Ulfkotte und Gerhard Spannbauer), „Der Euro-Crash kommt“, in denen er die Euro-Krise schon vor Jahren präzise vorausgesagt hat, waren und sind seit Monaten auf den Bestsellerlisten von Spiegel, Handelsblatt und Manager-Magazin.
Im GeVestor-Verlag gibt er seinen eigenen Börsenbrief „Unter vier Augen – Wissen, was andere nicht wissen“ heraus, der die Vermögenssicherung fokussiert.
2005 wurde Dr. Grandt die Staufermedaille für besondere Verdienste für das Land Baden-Württemberg und 2011 die Ehrendoktorwürde der staatlichen rumänischen Universität Pitesti verliehen. Er hält erfolgreiche Vorträge zu den Themen Finanzen und Wirtschaft. Mehr über seine Arbeit finden Sie unter www.michaelgrandt.de.