Prof. Dr. Wellershoff: Die Inflation wird kommen
Prof. Dr. Klaus W. Wellershoff sieht sich selbst als Ökonom und Unternehmer. In der Finanzwelt gilt der frühere Bankmanager und ehemalige Chefvolkswirt der UBS als erfahrener Beratungsexperte für die Bereiche Makroökonomie und Finanzmärkte. Mit ihm sprach pro aurum über die Geldanlage im Allgemeinen, die aktuelle Marktlage – und natürlich über Gold.
pro aurum: Mit Ihrer Firma ZWEI Wealth Experts beraten Sie Anleger bei der Kontrolle des eigenen Vermögens und unterstützen diese im Umgang mit Banken bzw. Vermögensverwaltern. Welche Vorteile ergeben sich dadurch für Privatinvestoren?
Prof. Dr. Klaus W. Wellershoff: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich die allermeisten Anleger gar nicht für die Finanzmärkte interessieren und sich bewusst sind, dass sie wissenstechnisch ihren Bank- bzw. Vermögensberatern unterlegen sind. Dabei fühlen sie sich sehr unwohl. Wir helfen ihnen dabei, dieses Gefälle zu überwinden. Für den Kunden ist es wichtig, jemanden zu haben, der für ihn arbeitet und nicht auf das eigene Wohl oder das Wohl seines Arbeitgebers bedacht ist. Medizinisch betrachtet, kann man unsere Tätigkeit als das Einholen einer Zweitmeinung bezeichnen. Grundsätzlich helfen wir dem Kunden, die weißen von den schwarzen Schafen der Finanzbranche zu unterscheiden. Dabei nutzen wir vor allem den enormen Wissensschatz unserer Researchfirma.
Banken wird häufig nachgesagt, dass sie unabhängige Beratung zum Wohle des Anlegers gar nicht bieten können, weil sie eher verkaufen als beraten. Wie stehen Sie – als ehemaliger Bankmanager – dieser These gegenüber?
So ganz pauschal kann man diese Frage nicht beantworten, da sich in den vergangenen Jahren in diesem Punkt einiges gewandelt hat. Früher gab es noch Freiräume für Kundenberater, Privatanleger gut und weitestgehend unabhängig zu beraten. Bedingt durch die Finanzkrise und die Reorganisation der Banken ist dies in den letzten Jahren aber eingeengt worden. Bei den Finanzberatern wurde der Druck erhöht, positive Ergebnisse zu produzieren. Unser System setzt genau da an, schließlich wollen wir ständig gute Bankberater gewinnen, die auf diese Form des „Beratungsgeschäfts“ keine Lust mehr haben. Es gibt zwar einige gute Banken und Vermögensberater, aber ganz viele sind mittlerweile zu Verkaufsmaschinen degeneriert. Diesen Unterschied kann man als Privatkunde von außen nicht wirklich gut wahrnehmen.
Wie stufen Sie die Gemengelage an den Finanzmärkten derzeit ein? Gehen Sie davon aus, dass die global grassierenden Schuldenprobleme beherrschbar bleiben?
Derzeit leben wir sicherlich in außergewöhnlichen Zeiten. Aber ganz ehrlich – über die Schulden machen wir uns eigentlich nur in Japan Sorgen. Dort sind wir nämlich an einem Punkt angekommen, wo es kein Zurück mehr gibt. Viel größere Sorgen machen wir uns jedoch über die Geldpolitik der Zentralbanken, welche in den vergangenen Jahren die Geldmengen – je nachdem, wo man lebt – verdoppelt, vervierfacht bis versechsfacht haben. Wir Ökonomen kennen den Zusammenhang zwischen Geldniveau und Preisniveau bereits seit dem 16. Jahrhundert. Dieser ist empirisch erwiesen und hat sich interessanterweise auch in den vergangenen 30 Jahren stets bewährt. Meiner Meinung nach gibt es keinen Grund, daran zu zweifeln, dass verrückte Dinge passieren werden. Mittelfristig bedeutet dies Inflation und kurzfristig führt dies zu erheblichen Blasen an den Finanzmärkten.
… seit Mitte April hat es bei Anleihen bereits mehrfach gekracht. Müssen sich die Anleger nun richtig Sorgen machen?
Für uns war es zwar keine Überraschung, aber ich denke, viele Investoren sehen die jüngsten Turbulenzen gewissermaßen als Weckruf. Die enorme Hebelwirkung, die Zinsniveaus auf Aktienmärkte ausüben, wird von Fachleuten und Nicht-Fachleuten massiv unterschätzt. Und wir sollten uns keinerlei Illusionen machen – die Aktienmärkte werden unter den steigenden Zinsen leiden.
Und welche Portfoliostruktur sollten Privatinvestoren mit Blick auf die unterschiedlichen Anlageklassen im aktuellen Marktumfeld Ihrer Meinung nach anstreben?
Der gute Berater sagt natürlich: Das hängt stark von der persönlichen Situation ab. Natürlich sollte man möglichst diversifiziert anlegen. Dabei sollte man jedoch darauf achten, dass man Investments tätigt, die von steigenden Zinsen weniger stark belastet werden. So haben steigende Zinsen auf Aktien, Immobilien, Anleihen und Private Equity einen deutlich negativen Effekt. Angesichts steigender Inflationserwartungen sollte Gold in einem solchen Umfeld hingegen eher profitieren.
… die mit steigenden Zinsen verbundenen erhöhten Opportunitätskosten bei Edelmetallen stellen für Sie kein größeres Problem dar?
Wenn in einem Umfeld tiefer Zinsen und niedrigen Wachstums sowohl die Inflationserwartungen als auch die Zinsen steigen, ist Gold eine sehr attraktive Anlage. In einer solchen Situation raten wir durchschnittlich risikofähigen bzw. risikowilligen Anlegern zu einer Goldquote von bis zu 20 Prozent. Liegen die Wachstumserwartungen höher, wie im Augenblick, sollte das in etwa die Hälfte dieses Wertes sein. Grundsätzlich gehört Gold aber immer ins Portfolio. Selbst wenn die Zinsen eines fernen Tages wieder hoch sein sollten und zu fallen beginnen, muss man Gold als Versicherung im Portfolio haben.
Und wie sieht es mit der Verteilung der Länderrisiken aus? In welchen Regionen sehen Sie attraktive Chancen und wo lauern Ihrer Meinung nach eher Risiken?
Ich denke, Europa ist besser als sein Ruf. Viele Menschen und fast alle Ökonomen sind sich einig, dass der Euro eine Fehlkonstruktion ist. Er ist sicherlich nicht optimal, aber dies bedeutet nicht, dass er nicht überlebensfähig ist. Ich selbst lebe ja in der Schweiz und der Schweizer Franken ist eine tolle Währung – aber auch er ist nicht optimal. Selbst die Schweiz hat so unterschiedliche Landesteile, die sich kulturell, sprachlich und wirtschaftlich krass voneinander unterscheiden. Vergleicht man zum Beispiel die Metropolregion Zürich mit der Bergregion Graubünden, dann macht es auf dem ökonomischen Reißbrett überhaupt keinen Sinn, dass beide dieselbe Währung haben. Und so ist es auch in der Eurozone. Aber daraus zu schließen, dass der Euro in irgendeiner Form schädlich ist, verschwinden müsste oder nicht überleben könne, ist vollkommen übertrieben.
Außerdem ist Europa in der glücklichen Situation, dass es ein sehr großer Wirtschaftsraum ist und die durchschnittlichen Einkommen vieler Europäer niedriger sind als in Deutschland, in der Schweiz oder in den USA. Da ist auf jeden Fall noch Wachstumspotenzial vorhanden. Und wenn man dann noch berücksichtigt, dass die Europäer – im Gegensatz zu den Angelsachsen und den Japanern – zumindest angefangen haben, Anzeichen für fiskalische Vernunft zu zeigen, sollte man dies auf jeden Fall positiv honorieren. Ich möchte nichts schönreden, aber bei Investments kommt es nicht darauf an, dass man das absolut Beste, sondern das relativ Bessere erwischt. Und da macht Europa auf uns einen ganz guten Eindruck.
Und was trauen Sie dem Goldpreis zu?
Wir alle wollen natürlich die Zukunft kennen, aber wir kennen sie nicht. Wir prognostizieren nur Dinge, die wir guten Gewissens prognostizieren können – und Finanzmarktpreise gehören leider nicht in diesen Bereich. Man weiß zwar, wie sich Anlageklassen relativ zueinander verhalten, und man weiß auch, was sie auf mittlere Sicht tun werden – aber man weiß nicht, wann sie es tun. Bezüglich Gold kann man das Gesamtumfeld derzeit als positiv einschätzen, weil die Inflationsraten in den kommenden neun Monaten relativ schnell ansteigen werden. Im Dollarraum werden wir wohl zwei Prozent Inflation sehen und im Euroraum ist mit einer Teuerung von einem Prozent zu rechnen. Darüber hinaus sollte der Dollaranstieg hinter uns liegen. All dies sollte dem Goldpreis guttun.
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