CASH OR CRASH
Börsenpsychologie verstehen, Sicherheit vermitteln

Prof. Dr. Bernt Mayer lehrt als Organisations- und Wirtschaftspsychologe an der OTH Amberg-Weiden und Regensburg Unternehmens- und Personalführung.
„Gier und Angst stellen in der Psychologie die zwei entscheidenden Faktoren des Handelns dar“, sagte Professor Bernt Mayer beim Gedankenaustausch „Cash or Crash“ im Goldhaus München. Dazu hatten pro aurum und die Volksbank Löbau-Zittau Mitte April eingeladen. Um Kunden vor irrationalen Entscheidungen zu bewahren und Sicherheit zu vermitteln, ist das Wissen um die Verhaltensökonomie essentiell. Sie liefert wichtige Erkenntnisse über die Anlageentscheidungen der Menschen und gibt Finanzdienstleistern wertvolle Lösungsstrategien an die Hand.
Sicherheit zu vermitteln, ist in unsicheren Zeiten eine Herkulesaufgabe. Funktioniert das überhaupt mit rationalen Erklärungsversuchen über ökonomische Zusammenhänge?
Mayer: Aus der Organisationspsychologie und anderen wissenschaftlichen Perspektiven wissen wir, dass Menschen ein starkes Bedürfnis nach Orientierung und Sicherheit haben. Wird dieses Bedürfnis vernachlässigt, kann ein Kontrollverlust entstehen, der uns in Stress versetzt und mitunter zu irrationalen Verhaltensmustern führt. So macht es durchaus Sinn, Menschen zu erklären, wie sie sich gewöhnlich in wirtschaftlichen Zusammenhängen – zum Beispiel vor, während und nach Kaufentscheidungen – rational und vor allem auch emotional verhalten.
Wie „ticken“ wir, wenn wir Unbehagen in Form von Vermögens- oder Gewinnverlust verspüren?
Mayer: Eine wichtige Erkenntnis der Verhaltensökonomie ist, dass Menschen Gewinnverluste stärker schmerzen als Gewinne sie freuen – die sogenannte Verlustaversion. Das führt zur Konsequenz, dass sie Verluste eher laufen lassen und Gewinne oft zu früh realisieren. Wir sprechen dann vom Dispositionseffekt.
Was sagt die Behavioral Finance im Kern aus?
Mayer: Die Behavioral Finance ist ein Untergebiet der Verhaltensökonomik und somit letztlich ein Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaften. Die Behavioral Finance beschäftigt sich mit der Psychologie der Anleger, also mit ihrem Erleben und Verhalten in Märkten. Sie widerspricht dabei klar dem Bild des in der Volkswirtschaft stark vertretenen Homo oeconomicus, der alles wissen kann und stets in der Lage ist, effizient und rational zu handeln. Stattdessen will sie aufzeigen, wie Anlageentscheidungen tatsächlich zustande kommen und welche Fehler dabei immer wieder typischerweise gemacht werden.
Welchen Einflüssen unterliegen unsere Entscheidungen?
Mayer: Unsere Entscheidungen werden stark von kognitiven und emotionalen Faktoren beeinflusst. Im kognitiven Bereich ist zum einen die Informationsaufnahme wichtig und hier spielt beispielsweise die selektive Wahrnehmung eine entscheidende Rolle: Wir nehmen gerne die Informationen auf, die unseren eigenen Vorstellungen, Erwartungen und Wünschen entsprechen. Widersprechende Informationen werden dagegen gerne verdrängt, vernachlässigt oder erst gar nicht wahrgenommen. Des Weiteren verwenden wir bei der Informationsverarbeitung sogenannte Heuristiken. Sie sind quasi Faustregeln, die uns helfen, mit der Komplexität an Informationen umzugehen, um überhaupt Entscheidungen treffen zu können.
Haben Sie ein Beispiel?
Mayer: Beispielsweise orientieren wir uns beim Kauf einer Sache gerne an einem Vergleichswert, dem sogenannten Ankereffekt. Oder eine Sache wird für uns wertvoller, sobald wir sie besitzen. In diesem Fall sprechen wir vom Besitztumseffekt. Diese Heuristiken haben sich evolutionär bewährt und nehmen uns Denkarbeit ab. Statt endlose Datenmengen zu verarbeiten, greift unser Gehirn auf einfache Schätzungen zurück und fährt damit zumeist sehr gut. Dies ist wie bei einem Segler, der sich an Landmarken oder am Stand der Gestirne relativ schnell und genau orientieren kann.
Und wenn die Landmarken fehlen?
Mayer: Genau dann hat er ein Problem, beispielsweise im dichten Nebel. Hier braucht er einen verlässlichen Kompass. Genauso ist es an den Märkten: in Boom-Phasen, wie vor einigen Jahren der Neue Markt oder derzeit Immobilien, kann man „auf Sicht“ anlegen. Aber was ist, wenn es zu Turbulenzen und Krisen kommt, wenn also „schlechtes Wetter aufzieht“? Hier ist das Verständnis eigener und gruppenspezifischer kognitiver wie auch emotionaler Einflussfaktoren absolut erfolgsentscheidend. Gerade im emotionalen Bereich verhalten wir uns sehr häufig irrational. Die oben beschriebene Verlustaversion führt zum Beispiel emotional zu Unstimmigkeiten, die Passivität und Konservatismus zur Folge haben können. Das heißt, wir beharren auf dem Status Quo, den es „unter allen Umständen“ zu verteidigen gilt, damit es nicht schlechter wird“. Auch haben viele ein starkes Kontrollbedürfnis, also das Gefühl, „bestimmte Dinge im Griff zu haben“. Einige Menschen neigen dazu, ein übermäßiges Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, etwa was die eigenen Prognosen an der Börse angeht, zu haben und überschätzen sich gerne. Daniel Kahnemann, der einflussreichste Vertreter der Verhaltensökonomik, spricht hier vom „Triumph der Hoffnung über die Erfahrung“.
Wie stark wirken soziale Einflüsse?
Mayer: Im Gegensatz zur effizienten Markhypothese, in dem Händler durch bewusste Handlungen durch Kaufen und Verkaufen von Aktien den Marktpreis bestimmen und leiten, erkennen wir, dass der Markt als Ganzes ein Herden-Verhalten aufweist, das nicht von den einzelnen Individuen wahrgenommen wird. Ohne es zu wissen, handelt die Masse einvernehmlich durch das, was man als „höheres Kollektivbewusstsein“ bezeichnet, ähnlich wie eine Ameisenkolonie bei Gefahr. Es scheint so, dass der Markt einem Ameisenstrom entspricht, der durch eine Massenform des Herden-Verhaltens bestimmt wird und dessen Richtung durch die soziale Stimmung vorgegeben wird. Die natürliche Tendenz, der Gruppe – also der Herde – zu folgen, veranlasst viele, die Meinungen und Ansichten der Herde zu übernehmen und damit auch ihre Emotionen.
Die Gruppe gibt Sicherheit?
Mayer: Ja, absolut. Und diese ausgeprägte Anpassungsbereitschaft sorgt dafür, dass wir in unserem Denken, Empfinden und Handeln nach Konformität streben. In den meisten sozialen Bereichen wird dieses Verhalten positiv verstärkt – wie etwa in großen Unternehmen und in der Politik. Außenseiter haben es dagegen sehr schwer, Akzeptanz und Anerkennung zu finden. Weil dieser Instinkt – der Herde zu folgen – so stark ist, kann ein kleiner Kreis von Individuen in der Herde Momente der Panik in einer Baisse und Habgier in einer Hausse hervorrufen, woraufhin alle restlichen Mitglieder der Masse oder Herde bereitwillig folgen. Gier und Angst stellen in der Psychologie die zwei entscheidenden Faktoren des Handelns dar.
Welchen Nutzen können Finanzdienstleister aus diesem Wissen ziehen?
Mayer: In einer korrektiven Markphase, in der wir uns derzeit offensichtlich befinden, ist es enorm wichtig, außerordentlich flexibel und anpassungsfähig zu sein. Die meisten Analysten erkennen den Einfluss von Markstimmungen auf Kurse nicht. Sie suchen vielmehr händeringend nach „News“, also passenden Nachrichten, die ihren Vorstellungen entsprechen und auf die sie ihre bestehende Prognose stützen können. Flexibel und anpassungsfähig kann ich nur sein, wenn ich bestens trainiert bin – eben wie ein Sportler im olympischen Wettkampf, der auch nicht weiß, wie gut seine Konkurrenten „heute gerade drauf sind“. Verantwortungsbewusste Finanzdienstleister sollten zum einen das Management irrationaler Verhaltensmuster lernen, also wie Entscheidungen hinsichtlich kognitiver, emotionaler und sozialer Einflüsse funktionieren. Zum anderen sollten sie Marktstimmungen mit ihren Ursachen und Wirkungen erkennen, um dann Lösungsstrategien zu entwickeln und umzusetzen. Hier bietet die Psychologie sehr erfolgversprechende Ansätze und Trainingsmodule an.
Vielen Dank!
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