Gold ist als „sicherer Hafen“ gefragt – und die Nationalbank verliert ihre Glaubwürdigkeit
Dreißig Prozent minus für eine Feinunze Gold in Schweizer Franken, zwei Prozent Verlust für den Euro, knapp drei Prozent minus für den DAX – und das alles innerhalb von nur wenigen Sekunden: Die Schweizerische Nationalbank hat heute um 10.30 Uhr eine fiskalpolitische Bombe platzen lassen. Der Mindestkurs von 1,20 Schweizer Franken für einen Euro wurde völlig überraschend gestrichen. Seit September 2011 hat die SNB diese Untergrenze verteidigt, in den vergangenen Monaten ist der Euro-Franken-Kurs auf diesem Niveau verharrt - und heute gnadenlos in den Keller gerutscht. Zum Mittag lagen Euro und Franken bei der Parität, der Euro ist heute gegen den Schweizer Franken so wenig wert wie noch nie zuvor. Zeitweise fiel er um mehr als 28 Prozent auf 0,86 Franken. Der Euro rutschte auf 1,15795 Dollar und damit den tiefsten Stand seit elf Jahren.
Für Goldanleger hat die Entscheidung der Notenbank massive Auswirkungen: Auf Franken-Basis brach der Preis für eine Feinunze heute in der Spitze um 300 Franken ein, gegen Mittag lag der Verlust bei 150 Franken pro Feinunze. Auf Euro-Basis sieht es ganz anders aus: Hier schoss Gold nach Bekanntwerden der SNB-Entscheidung um fast drei Prozent in die Höhe und hat sich inzwischen oberhalb der Marke von 1060 Euro pro Feinunze stabilisiert. Anleger in Europa steuern also offenbar massiv den "sicheren Hafen" Gold an. Euro und Dax rutschten dagegen ab, der Schwergewichte-Index SMI verlor mehr als sieben Prozent.
Die Entscheidung der Schweizer Notenbank ist eine handfeste Sensation - noch gestern titelte das deutsche "Handelsblatt" in einem Bericht zu den Eingriffen der Notenbank: "Schweiz und der Euro: Für immer 1,20 Franken je Euro?" Der Mindestkurs wurde in der Analyse als „Schutzschirm für die Schweizer Exportindustrie“ beschrieben - rund 60 Prozent der Schweizer Exporte werden in Europa verkauft. Vor diesem Hintergrund zeigt sich auch Mirko Schmidt, Geschäftsführer von pro aurum erstaunt: "Bisher hatte die Notenbank ein großes Interesse, die exportlastige Industrie zu stärken." Für Schmidt ist die Aufhebung der Parität nichts weniger als ein völlig unerwarteter Black Swan für die Finanzmärkte. Und die Signalwirkung geht noch darüber hinaus: "Jetzt steht fest, dass man sich nicht mehr auf Aussagen von Nationalbanken verlassen kann", unterstreicht Schmidt.
Die Schweizer Nationalbank bemüht sich unterdessen um Schadensbegrenzung: "Der Mindestkurs wurde in einer Zeit der massiven Überbewertung des Frankens und größter Verunsicherung an den Finanzmärkten eingeführt", heißt es in einer Erklärung vom Donnerstag. Der Franken bleibe zwar hoch bewertet, aber die Überbewertung habe sich seit Einführung des Mindestkurses insgesamt reduziert. Damit beugte sich die Nationalbank dem Druck der Finanzmärkte. Der Wertverlust des Franken im Vergleich zu den meisten anderen Währungen machte es der Notenbank immer schwerer, die Stützen aufrecht zu erhalten. Immerhin wurden die Devisen-Reserven durch die Euro-Käufe auf 500 Milliarden Franken ausgedehnt.
Das Fazit an den Finanzmärkten fällt dennoch verheerend aus: „Das ist eine Kapitulation“, sagte Janwillem Acket, Chefökonom von Julius Bär, zur Entscheidung der SNB gegenüber dem „Handelsblatt“. „Die Notenbank musste seit Jahresbeginn offenbar ständig intervenieren, das wurde ihr vermutlich zu teuer.“ Die Sozialdemokratische Partei der Schweiz spricht in einer Mitteilung von einem „unverständlichen Hochrisiko-Entscheid der Nationalbank“ und befürchtet eine massive Verteuerung des Frankens und damit „katastrophale Folgen für Volkswirtschaft und Arbeitsplätze“.